Gewaltprävention in der Pflege

Vernachlässigung

Pflegebedürftige Menschen sind auf Unterstützung durch Pflegende angewiesen. Wenn die nötige Hilfe unterbleibt, spricht man in der Pflege von Vernachlässigung. Diese kann auf emotionaler, geistiger und körperlicher Ebene erfolgen und ist eine Form von Gewalt. Das gilt in der professionellen Pflege sowie bei der Pflege durch Angehörige. Die gesundheitlichen Folgen können schwerwiegend sein und der Hilfebedarf kann steigen.

Was bedeutet Vernachlässigung in der Pflege?

Vernachlässigung einer pflegebedürftigen Person liegt vor, wenn Pflegende auf deren Bedarfe oder Bedürfnisse nicht angemessen reagieren – und ihr dadurch Schaden zugefügt wird. Vernachlässigung ist eine Form von Gewalt. Sie kann emotional, geistig und körperlich erfolgen.

Nicht immer geschieht Vernachlässigung absichtlich oder böswillig. Sie kann beispielsweise auch aufgrund von Zeitmangel, Überforderung, körperlicher oder psychischer Überlastung sowie mangelnder finanzieller Mittel erfolgen. Zudem kann es sein, dass Pflegende nicht erkennen, ob oder welche Hilfe erforderlich ist. Dies kann zum Beispiel in mangelndem Wissen, ungenügender Empathie oder auch den Wertvorstellungen der Pflegenden begründet sein. Vernachlässigung kann aber auch mit der bewussten Entscheidung von Pflegenden einhergehen, eine nötige Handlung zu unterlassen oder nicht richtig umzusetzen. Sie kann aktiv mit dem Ziel der Schädigung oder der Machtausübung erfolgen. Das kann zum Beispiel in stark gestörten Pflegebeziehungen oder bei psychischen Problemen der pflegenden Person geschehen.

Beispiele für Vernachlässigung in der Pflege

  • Bedürfnisse nach Zuwendung und Kommunikation nicht ernst nehmen, ignorieren
  • nicht ausreichend geistige Anregung anbieten
  • Schmerzen ungenügend lindern
  • lange auf Hilfe warten lassen
  • erforderliche Hilfsmittel nicht anbieten, z. B. Brille, Gehilfen, Hörgerät
  • unzureichend unterstützen, z. B. bei der Ernährung, Medikation, Bewegung
  • Maßnahmen mangelhaft durchführen, z. B. bei der Wundversorgung, Körperpflege, beim Verbandswechsel

Es kommt auch vor, dass pflegebedürftige Menschen sich selbst vernachlässigen. Diese Form der Vernachlässigung ist in diesem Kontext nicht gemeint.

Welche Folgen kann Vernachlässigung haben?

Die Folgen von Vernachlässigung machen sich in der Regel nicht sofort bemerkbar. So kann Vernachlässigung zum Beispiel dazu führen, dass geistige und körperliche Fähigkeiten schneller verloren gehen und dadurch der Hilfebedarf steigt. Wenn die Unterstützung bei der Mobilität fehlt, können eventuell Kraft, Gleichgewicht und Beweglichkeit nicht ausreichend trainiert werden. Dann kann das Sturzrisiko steigen. Durch mangelhafte Pflege kann es unter anderem auch zu Flüssigkeitsmangel, Mangelernährung, Infektionen oder Druckgeschwüren kommen. Allgemein kann Vernachlässigung zu schweren Gesundheitsproblemen bis hin zum Tod führen.

Beispiele für Anzeichen für Vernachlässigung

Die Anzeichen für Vernachlässigung sind nicht immer eindeutig oder direkt erkennbar. Denn viele Probleme und Symptome können auch bei einer sehr guten Versorgung auftreten und ganz andere Ursachen haben. Gleichwohl ist es sinnvoll, aufmerksam zu sein und Anzeichen nachzugehen. Anzeichen können zum Beispiel sein:

  • Untergewicht, zu weit gewordene Kleidung, eingefallene Wangen
  • mangelnde Mundpflege, Hautveränderungen im Mundraum, Probleme mit den Zähnen
  • schlechter Körpergeruch, verschmutzte Kleidung, ungepflegte oder verletzte Nägel
  • schwere Entzündungen im Intimbereich
  • Druckgeschwüre
  • abnehmende Bewegungsfähigkeit, Versteifung der Gelenke
  • fehlende Hilfsmittel wie Brille, Zahnprothese, Hörgerät
  • Ängstlichkeit, Teilnahmslosigkeit, Traurigkeit, Aggressivität

Tipps für Pflegebedürftige und Angehörige

Vernachlässigung bei der Pflege ansprechen

Hinweise für Angehörige bei mangelhafter professioneller Pflege

Wenn etwas bei der Pflege nicht richtig erscheint, sollten Angehörige am besten zuerst die pflegebedürftige Person fragen, wie sie die Situation sieht. Dann ist es ratsam, sich bei den zuständigen Pflegenden zu erkundigen, weshalb etwas wie gemacht wird – oder warum nicht. Wenn Fragen oder Probleme auftreten, sollten die Pflegenden diesen gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person und den Angehörigen nachgehen und die Maßnahmen anpassen.

Tritt keine Besserung ein, ist es sinnvoll, sich an die Pflegedienstleitung oder Hausleitung zu wenden. Wenn dort auch auf Fragen oder Kritik nicht schnell und angemessen reagiert wird, wäre der nächste Schritt, offizielle Ansprechstellen einzubeziehen. Weitere Hinweise finden Sie bei den Tipps zum Vorgehen bei Problemen mit professionellen Pflegeangeboten.

Hilfe für pflegebedürftige Menschen, die sich bei der Pflege vernachlässigt fühlen

Pflegebedürftige Menschen sollten sich zunächst an eine Vertrauensperson wenden, wenn sie sich vernachlässigt fühlen. Je nach Situation kann das jemand aus der Familie, dem Freundeskreis, der Nachbarschaft, dem Pflegedienst oder Pflegeheim sein. Ratsam ist zudem, die Ärztin oder den Arzt einzubeziehen. Diese Personen können dabei unterstützen, die Situation zu ändern.

Zudem können offizielle Stellen eingeschaltet werden. Außerdem gibt es sogenannte Krisentelefone, die akut unterstützen können.

Dieses Krisentelefon ist aktuell für Sie verfügbar:

0271 234 60 66

Mo und Do von 10–14 Uhr

Außerhalb der Sprechzeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet.

weitere Krisentelefone
Das Angebot Handeln statt Misshandeln (HsM) – Siegener Initiative gegen Gewalt im Alter bietet Beratung in Krisensituationen.

Wenn eine pflegebedürftige Person bei der Pflege massiv vernachlässigt wird und keine direkte Abhilfe geschaffen werden kann, sollte die Polizei eingeschaltet werden.

 

Material zum Thema

Die ZQP-Ratgeber Stationäre Pflege und Ambulante Pflege bieten konkrete Hinweise, um besser nachvollziehen zu können, ob die professionelle Pflege angemessen und fachgerecht ist. Der ZQP-Kurzratgeber Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen verhindern zeigt auf, was man tun kann, wenn man Gewalt vermutet oder diese beobachtet hat.

Hinweise für die professionelle Pflege

Maßnahmen bei Vernachlässigung

Professionell Pflegende sind verpflichtet, pflegebedürftige Menschen vor Gefahren zu schützen, die zum Beispiel durch Vernachlässigung entstehen können (Garantenpflicht). Daher müssen sie handeln, wenn sie Anzeichen für Vernachlässigung wahrnehmen. Einem Verdacht sollte immer sensibel nachgegangen und das Vorgehen mit den Vorgesetzten abgestimmt werden. Beobachtungen und Vorgehen sollten nachvollziehbar dokumentiert werden.

Vernachlässigung durch professionell Pflegende

Verschiedene organisations- oder personenbezogene Faktoren können zu Vernachlässigung durch professionell Pflegende beitragen, zum Beispiel die Arbeitsbedingungen, Kompetenzen oder Einstellungen gegenüber Gesundheitsrisiken. Um lösungsorientiert darauf zu reagieren, gilt es, Vorfälle transparent und konsequent aufzuarbeiten. Dazu gehört, die Ursachen und Begleitumstande zu identifizieren, die Situation und gesundheitlichen Schäden zu analysieren und Maßnahmen zu erarbeiten, wie künftig vorgebeugt werden kann.

Zur Sicherheit pflegebedürftiger Menschen trägt entscheidend bei, wie sich Pflegeorganisationen und ihre Beschäftigten für sicherheitskritische Probleme engagieren. Zur Stärkung der Sicherheitskultur stellt das ZQP Informationen und frei zugängliches Schulungsmaterial bereit.

Vernachlässigung durch pflegende Angehörige

Wenn professionell Pflegende Anzeichen für Vernachlässigung durch pflegende Angehörige beobachten, sollten sie dies ansprechen. Dazu können sowohl die pflegebedürftige als auch die pflegende Person nach ihren Wahrnehmungen zur Pflegesituation gefragt werden. Zudem sollte – in Abstimmung mit den Vorgesetzten – auch die Hausärztin oder der Hausarzt einbezogen werden. Im Weiteren ist gemeinsam zu erörtern, was getan werden kann. Zum Beispiel könnten Angebote zur Beratung und Entlastung pflegender Angehöriger empfohlen werden. Je nach Situation könnte es auch sinnvoll sein, eine andere Versorgungskonstellation für die pflegebedürftige Person vorzuschlagen. Dauern die Probleme an, können sich professionell Pflegende auch an die Pflegekasse oder private Pflegeversicherung der pflegebedürftigen Person wenden.

Wichtig: Bevor Informationen an externe Stellen weitergebeben werden, müssen professionell Pflegende zwischen ihrer Garantenpflicht und ihrer Schweigepflicht abwägen. Grundsätzlich gilt, dass der Wille der betroffenen Person ausschlaggebend ist. Die Schweigepflicht darf aber in manchen Fällen gebrochen werden: Wenn ein rechtfertigender Notstand vorliegt, etwa die Unversehrtheit von Leib, Leben oder Freiheit der Person gefährdet sind. Dabei gilt es, vertraulich vorzugehen und nur unbedingt erforderliche Informationen an relevante Personen oder Stellen weiterzugeben.

Die Hochschule Fulda stellt dafür Handlungsempfehlungen zur Verfügung. Das Wichtigste ist in einer Pocketversion zusammengefasst.

Zuletzt aktualisiert: 31.05.2023 Nächste vollständige Überarbeitung: 31.05.2028