Lebensmüdigkeit und Suizidalität

Insbesondere ältere pflegebedürftige Menschen können die Lust am Leben verlieren oder das Gefühl haben, keine Kraft mehr zum Weiterleben zu besitzen. Häufig wird dann von Lebensmüdigkeit gesprochen. Wenn Menschen darüber nachdenken, ihr Leben selbst zu beenden oder sogar entsprechend handeln, wird das als Suizidalität bezeichnet. Davon betroffene Personen empfinden ihre Lebenssituation als ausweglos und leiden in der Regel stark unter solchen Gefühlen. Bei Suizidalität liegt also meist eine schwere persönliche Krise vor. Professionelle Hilfe ist dringend erforderlich.

Damit die Prävention von Lebensmüdigkeit, Suizidalität und Suizidhandlungen bei pflegebedürftigen Menschen gelingen kann, ist es neben der persönlichen Aufmerksamkeit für deren Situation nötig, dass die Verfügbarkeit von professionellen Hilfsangeboten sichergestellt ist. Zudem wird bei diesem Thema Beratung und Unterstützung für Angehörige, professionell Pflegende und allgemein in Gesundheitsberufen benötigt. Denn auch für diese Gruppen kann die Situation der Betroffenen erhebliche psychische Belastungen mit sich bringen.

Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle, wenn Sie Anzeichen für Lebensmüdigkeit oder Suizid bei sich oder anderen feststellen, beispielsweise

Was ist Suizidalität?

Der Begriff der Lebensmüdigkeit ist nicht einheitlich definiert. Er kann insbesondere bei älteren pflegebedürftigen Menschen als mit Leid verbundener Gemütszustand in Bezug auf die eigene aktuelle Lebenssituation und den damit verbundenen Lebenswillen verstanden werden, der aber in dieser Form noch keine Suizidalität bedeutet – jedoch in eine solche übergehen kann.

Unter Suizidalität sind alle Gefühle, Gedanken und Handlungen zusammengefasst, die den eigenen Tod aktiv oder auch durch Unterlassen anstreben. Es wird davon ausgegangen, dass Suizidalität in der Regel ein Ausdruck von einer mit schwerem Leid verbundenen Lebenskrise ist und oft auch mit einer psychischen Erkrankung zusammenhängt. Dabei entsteht das Gefühl, unter den eigenen aktuellen Lebensumständen nicht weiterleben zu können. Die gravierendste Folge der Suizidalität ist der vollendete Suizid. Begriffe wie Selbstmord oder Freitod können als negativ oder positiv wertend verstanden werden. Sie sollten vermieden werden.

Die konkreten Ursachen, die einer Lebensmüdigkeit oder Suizidalität zu Grunde liegen, können in der Regel gemildert werden. Es ist für die betroffene Person dann möglich, wieder positiver auf das eigene Leben zu schauen. Ein Mensch, der an Suizidalität leidet, benötigt schnell professionelle Hilfe, zum Beispiel durch einen Facharzt oder eine Fachärztin. So können Suizide verhindert werden. Auf mögliche Anzeichen für Lebensmüdigkeit oder Suizidalität sollte man darum genau achten und seine eigenen Wahrnehmungen nicht ignorieren. Bei entsprechenden Beobachtungen ist es wichtig, die Person darauf anzusprechen und sie dabei zu unterstützen, Hilfe zu finden. Jemanden zu fragen, ob er mit seinem Leben unglücklich ist oder sogar an Selbsttötung denkt, ist – anders als teilweise vermutet – kein Auslöser für Suizidhandlungen.

Wie verbreitet ist Suizidalität?

Wie häufig ältere pflegebedürftige Menschen von Suizidalität betroffen sind, ist schwer zu ermitteln. Allgemeine Angaben zur Suizidalität sind meist Schätzungen auf der Basis der amtlichen Suizidstatistik. Die Zahl der dort registrierten Suizide nahm in den letzten Jahrzehnten stetig ab und lag nach dem Jahr 2015 konstant unter 10.000 Menschen pro Jahr. Im Jahr 2023 wurde mit 10.304 Personen jedoch ein neuer Höchststand erreicht. Rund 73 Prozent der für 2023 erfassten Suizide wurden von Männern vorgenommen.

Die Suizidrate ist dabei in der Gruppe älterer Menschen erhöht. Hinzu kommt, dass die Dunkelziffer von nicht erkannten und entsprechend nicht erfassten Suiziden gerade in Bezug auf Selbsttötungen im Alter besonders stark ausgeprägt sein könnte. Dies würde bedeuten, dass das gesellschaftliche Phänomen des Alterssuizids möglicherweise noch gravierender ist, als es die Statistik sichtbar macht.

Einen weiteren Hinweis darauf, wie groß die gesellschaftliche Herausforderung durch Suizidalität ist, ergibt sich auch daraus, dass die Anzahl der Personen mit Suizidversuchen 20 Mal höher geschätzt wird als die Zahl der Selbsttötungen. Zudem zeigen Studien, dass ein vollendeter Suizid durchschnittlich einen Kreis von etwa sechs nahestehenden Personen betrifft und darüber hinaus noch bis zu 25 weitere Personen betreffen kann. Allein diese Zahlen machen deutlich, dass mehr Menschen direkt oder indirekt von einer Suizidalität betroffen sind, als die für sich betrachtete Anzahl der statistisch erfassten Suizide vermittelt.

Wie häufig ältere pflegebedürftige Menschen suizidale Gedanken haben oder entsprechend handeln, ist nicht bekannt. Studien liefern jedoch Hinweise darauf, dass dies bei geriatrischen Patienten und Patientinnen sowie bei Bewohnern und Bewohnerinnen von Pflegeheimen ein relevantes Problem ist. In einer bundesweiten Befragung des ZQP von pflegenden Angehörigen gab fast die Hälfte der Befragten an, die pflegebedürftige Person habe in den letzten 3 Monaten Aussagen über sich selbst gemacht, die als Hinweise auf bestehende Lebensmüdigkeit bis hin zu Suizidalität interpretiert werden können.

Was sind Risikofaktoren für Suizidalität?

Ob ein Mensch eine Suizidalität entwickelt, unterliegt einem Zusammenspiel verschiedener Merkmale und Einflüsse. In der Forschung sind verschiedene Faktoren identifiziert worden, die das Risiko erhöhen können, von Suizidalität betroffen zu sein. Diese führen aber im Umkehrschluss nicht zwangsläufig zu Suizidalität.

Solche sogenannten Risikofaktoren können auf körperlicher, kognitiver oder psychischer und sozialer Ebene liegen und weisen vor allem im höheren Alter Überschneidungen mit den Risikofaktoren einer Pflegebedürftigkeit auf. So können beispielsweise starke körperliche Einschränkungen zu einer Pflegebedürftigkeit führen sowie das Risiko für eine Suizidalität erhöhen.

Es wird angenommen, dass einzelne Faktoren für sich betrachtet eine geringe Auswirkung haben und vor allem ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren das Risiko für Suizidalität im Alter erhöht, man kann auch von einem Risiko aufgrund verschiedener Komorbiditäten sprechen. Ähnlich ist es bei den körperlichen Erkrankungen, die vor allem in Bezug auf die Schwere und Anzahl der Erkrankungen das Risiko erhöhen.

Risikofaktoren für Suizidalität

  • chronische Schmerzen
  • starke körperliche oder funktionelle Einschränkungen
  • chronische und schwere Erkrankungen (z. B. Krebs, Lungenerkrankungen, Diabetes, Inkontinenz)
  • Gebrechlichkeit / „Frailty“
  • Schlafstörungen
  • Gehirnverletzungen
  • (neuro-)kognitive Einschränkungen
  • affektive Störungen, z. B. Depression, bipolare Störungen, PTBS
  • Substanzmissbrauch / Suchterkrankungen
  • das erste Jahr nach einer Demenzdiagnose
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Armut oder sozio-ökonomische Krisen
  • rechtliche Probleme
  • dezimiertes soziales Umfeld, soziale Isolation, Einsamkeit oder hohe Introversion
  • alleinlebend
  • Verlust nahestehender Menschen sowie Trauer
  • Konflikte in sozialen Beziehungen
  • Altersdiskriminierung
  • Angst, für andere eine Last zu sein
  • Verlust der Unabhängigkeit beziehungsweise erlebte Einschränkungen
  • extreme Hoffnungslosigkeit
  • frühere Suizidversuche
  • traumatische Erlebnisse

Risikofaktoren können zudem miteinander verknüpft sein. So kann beispielsweise eine ältere Person mit starken körperlichen Beschwerden, einer geringen Problemlösefähigkeit und fehlender sozialer Unterstützung an einer Depression erkranken, die wiederum die Wahrnehmung der Einschränkungen und Beschwerden verstärkt. Es ist also wichtig, Risikofaktoren gemeinsam und im Zusammenspiel zu betrachten.

Welche Anzeichen gibt es für Suizidalität?

Bei pflegebedürftigen Menschen liegen oft mehrere der genannten Risikofaktoren für Suizidalität vor. Angehörige und professionell Pflegende sollten dafür sensibilisiert und auch aus diesem Grund besonders aufmerksam sein, wenn sich eine pflegebedürftige Person zu den Themen Lebensende, Sterben und Tod äußert.

Als konkrete Warnsignale für Suizidalität gelten insbesondere geäußerte Todeswünsche oder Botschaften, die thematisieren, sich das Leben nehmen zu wollen. Dies gilt ebenso für die Unfähigkeit, auf Nachfrage offen über das Thema zu sprechen oder eine fehlende Aufhellbarkeit der Stimmung.

Folgende Aussagen einer Person können zum Beispiel ein Anzeichen für Suizidalität sein:

  • Mein Leben ist nicht mehr bedeutsam.
  • Ich fühle mich wertlos/nutzlos.
  • Ich möchte gerne einschlafen und nicht wieder aufwachen.
  • Ich möchte mein Leben selbst beenden.
  • Ich habe bereits versucht, mein Leben selbst zu beenden.

Entsprechenden Anzeichen sollte nachgegangen werden. Lebensmüdigkeit oder Suizidalität im höheren Alter ist kein zu ignorierender und ein in vielen Fällen veränderbarer Zustand. Hilfe ist also möglich. Dazu ist meist professionelle Unterstützung nötig.

Wie belastet sind Pflegende durch Lebensmüdigkeit und Suizidalität?

Lebensmüdigkeit und Suizidalität können in verschiedener Hinsicht auch für das Umfeld älterer pflegebedürftiger Menschen belastend sein. Eine bundesweite Befragung des ZQP lieferte Hinweise darauf, dass Gespräche zwischen pflegebedürftigen Personen und pflegenden Angehörigen über das Lebensende sowie Äußerungen, die auf Lebensmüdigkeit schließen lassen, von vielen Pflegenden als Belastung empfunden werden. Zudem zeigte sich in der Studie ein Zusammenhang mit einer insgesamt eher negativen Beurteilung der Pflegesituation. Auch andere Untersuchungen tragen zum Bild dieses Belastungsaspekts in einer physisch und psychisch ohnehin besonders herausgeforderten Bevölkerungsgruppe bei.

Verschiedene Studien legen außerdem nahe, dass schwierige und belastende familiale Pflegesituationen auch zu suizidalen Gedanken bei pflegenden Angehörigen beitragen können.

Im Kontext professioneller Pflege weisen Forschungsarbeiten zudem darauf hin, dass Pflegefachpersonen durch ihre Arbeit einerseits ein höheres Risiko haben, mit einem Suizid in Kontakt zu kommen, und andererseits durch diese Kontakte erheblichen Stress und traumatisierende Situationen erleben können.

Material zum Thema

Der ZQP-Kurzratgeber Wenn ältere pflegebedürftige Menschen lebensmüde sind informiert über Ursachen, Anzeichen und den Umgang mit Lebensmüdigkeit und Suizidalität bei pflegebedürftigen Menschen. Zudem enthält der Ratgeber Hinweise zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten.

Titelseite der Broschüre „Wenn ältere pflegebedürftige Menschen lebensmüde sind“

Einblick

Wenn ältere pflegebedürftige Menschen lebensmüde sind

Was kann zur Prävention von Lebensmüdigkeit und Suizidalität beitragen?

Prävention von Lebensmüdigkeit und Suizidalität bedeutet unter anderem, Ursachen für entsprechende Gedanken und Gefühle vorzubeugen beziehungsweise sie frühzeitig zu erkennen. Außerdem gehört dazu die Verhinderung der Verschlechterung oder des Wiederauftretens bereits bestehender Erkrankungen, die Risikofaktoren für Suizidalität darstellen. Hinzuzuzählen sind zum Beispiel auch alle Maßnahmen, die unmittelbar auf eine Verhinderung von Suizidhandlungen zielen.

Im Grundsatz gilt: Suizidgedanken eines Menschen bedeuten nicht, dass er unbedingt sterben möchte. Sie bedeuten eher, dass er sein Leben unter den aktuellen Umständen nicht weiterleben möchte. Wenn rechtzeitig geholfen wird, sind Suizide oft vermeidbar. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Internetseite des Nationalen Suizidpräventionsprogramms.

Grundlegend für erfolgreiche Prävention von Suizidalität und Suizid im Alter und im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit ist insbesondere die Sensibilisierung der Bevölkerung, von Risikogruppen sowie von Akteuren und Multiplikatoren in der Gesundheitsversorgung. Damit verbunden ist das Ziel der Enttabuisierung des Themas. Nötig ist dafür eine Verbesserung des allgemeinen Wissensstands zur Bedeutung von Lebensmüdigkeit und Suizidalität sowie zum Umgang mit diesem Phänomen. Dazu gehört unter anderem die Aufklärung über sogenannte Suizidmythen.

Die professionelle Pflege und insbesondere Pflegefachpersonen haben erhebliche Bedeutung für die Suizidprävention. Ihre fachliche Qualifikation sollte daher auch in diesem Bereich gefördert werden. Denn sowohl Wissen als auch Kompetenz stellen eine wichtige Grundlage dar, um offen und angemessen über die Themen Lebensende, Lebensmüdigkeit und Suizidalität sprechen zu können beziehungsweise pflegebedürftigen Menschen die richtigen Fragen in diesem Zusammenhang stellen zu können. Zum anderen sind professionell Pflegende unverzichtbar, um auf eine mögliche Suizidalität im Rahmen der Versorgung pflegebedürftiger Menschen aufmerksam zu werden sowie zugrundeliegende psychische Problemlagen besser einschätzen zu können und damit einer Falschversorgung vorzubeugen. Insgesamt ist es daher auch wichtig, Wissenslücken in Bezug auf Suizidrisiken von Patienten und Patientinnen beziehungsweise pflegebedürftigen Menschen über verschiedene Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung hinweg zu schließen – zum Beispiel durch Schulungen.

Erfolgreiche Prävention braucht gesundheitliche, soziale und emotionale Unterstützung im Zusammenhang mit Lebensmüdigkeit und Suizidalität. Dazu gehört auch, Betroffene gut durch das Hilfesystem lotsen zu können. Denn das rechtzeitige Erkennen von Suizidalität sowie die Betroffenen davon zu überzeugen, dass sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und diese Hilfe dann nachhaltig anbieten zu können, ist Kern aller Bemühungen, Suizide zu verhindern. Um einschätzen zu können, ob Verhaltensweisen oder Aussagen von Personen im Einzelfall als Ausdruck von Suizidalität zu werten sind, bedarf es oft professioneller Unterstützung etwa durch Psychiater und Psychiaterinnen beziehungsweise Psychotherapeuten und -therapeutinnen. Entsprechend ist ein niedrigschwelliger Zugang zu psychosozialen und medizinischen Angeboten sowie zu psychotherapeutischer Unterstützung für hochbetagte pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen nötig. In Deutschland besteht neben dem ärztlichen und therapeutischen Hilfeangebot daher ein Netz von Beratungsangeboten: von der Telefon- und Onlineberatung bis zu örtlichen Beratungsstellen.

Eine Übersicht zu deutschlandweiten Hilfe- und Beratungsangeboten bietet unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention.

Wenn Sie jetzt Hilfe und Beratung brauchen, rufen Sie die Telefonseelsorge an: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222

Die genannten Präventionsfelder sind dabei nicht zuletzt eng mit gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen und dabei insbesondere mit Strukturfragen des Gesundheits- und Sozialsystems verbunden. In welcher Weise diese Auswirkungen auf Risikofaktoren für Suizidalität im Alter und bei Pflegebedürftigkeit haben können, ist hier nicht umfassend darstellbar.

Insgesamt gilt mit Blick auf die Rahmenbedingungen, dass neben der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Einstellung zum Thema Suizidalität und Selbsttötung die Beschränkung der Verfügbarkeit von Suizidmitteln, aber auch Verhinderungsmöglichkeiten zum Beispiel im Bereich von Bauwerken und öffentlicher Infrastruktur, von Bedeutung sind.

Speziell mit Blick auf die Gruppe der älteren pflegebedürftigen Menschen stehen hier unter anderem im Fokus negative Altersstereotypen zu verändern sowie Altersstigmatisierung und -diskriminierung abzubauen. Vor allem gilt es, die sozialen Beziehungen, Teilhabechancen sowie die Lebensqualität und das Wohlbefinden älterer pflegebedürftiger Menschen so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Mit Blick auf den gesellschaftlichen und politischen Diskurs scheint auch eine kritische Auseinandersetzung mit Angeboten organisierter Suizidbeihilfe – und der differenzierten Betrachtung der Gründe von Menschen, eine solche in Anspruch nehmen zu wollen – geboten. Eine übergeordnete politische Initiative zur Suizidprävention ist beispielsweise die Nationale Suizidpräventionsstrategie der Bundesregierung.

Zuletzt aktualisiert: 12.12.2024 Nächste vollständige Überarbeitung: 12.12.2029