Gewaltprävention in der Pflege

Häufigkeit von Gewalt in der Pflege

Wie häufig es in der Pflege zu Gewalt kommt, ist nicht genau bekannt. Doch sicher ist: Gewalt in der Pflege ist ein relevantes Problem und kein Einzelfall. Das zeigen unter anderem wissenschaftliche Studien. Eine Vielzahl von Gewaltvorkommnissen wird jedoch nicht bemerkt oder erfasst. Daher gehen Fachleute von einem großen Dunkelfeld aus.

Was ist zur Häufigkeit von Gewalt in der Pflege bekannt?

Die Relevanz von Gewalt in der Pflege, einschließlich der quantitativen Dimension, wird international als hoch eingeschätzt. Gesicherte Daten zur Häufigkeit gibt es aber nicht. Denn eine Reihe von Faktoren erschweren es allgemein, Gewalt genau zu erfassen: Zum Beispiel kommt sie in ganz unterschiedlicher Weise vor und wird zum Teil gar nicht als solche erkannt. Zudem wird über Vorfälle vielleicht nicht gesprochen. Es hängt außerdem teilweise von der individuellen Wahrnehmung und Bewertung ab, was als Gewalt angesehen und berichtet wird. Viele Gewaltvorkommnisse finden wahrscheinlich ohne Zeuginnen oder Zeugen statt oder es fehlen Beweise. Und die amtliche Kriminalstatistik erfasst lediglich die Gewaltvorfälle, die strafrechtlich verfolgt werden.

Herausforderungen bei der Erfassung von Gewalt gegen ältere pflegebedürftige Menschen

Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen zu erforschen, ist mit verschiedenen spezifischen Herausforderungen verbunden. Das hat mehrere Gründe: Pflegebedürftige Menschen können nur selten direkt zu ihren Gewalterfahrungen befragt werden. Sie sind unter anderem aufgrund eingeschränkter Selbstständigkeit schlecht für Befragungen erreichbar. Zudem möchten sie über Vorfälle vielleicht nicht berichten, etwa aus Angst oder Scham. Eventuell können sie sich auch nicht erinnern sowie schlecht oder gar nicht mitteilen. Das betrifft insbesondere Menschen mit Demenz.

Daten zu Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen werden daher häufig über Befragungen von Mitarbeitenden und Einrichtungsleitungen erfasst. Sie werden nach ihrem eigenen Verhalten oder erinnerten Vorfällen befragt. So wird teilweise nur die Perspektive bestimmter Personengruppen eingeschlossen. Die Ergebnisse können in der Regel nicht verallgemeinert werden. Das heißt, sie sind nicht repräsentativ.

Außerdem wird auch in wissenschaftlichen Befragungen nicht unbedingt offen zu unangenehmen Themen geantwortet. Zum Beispiel: Wird nach eigenem Gewaltverhalten gefragt, antworten Befragte wahrscheinlich nicht immer ehrlich.

Zahlen zur Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen sind dementsprechend oftmals verzerrt. Bei vielen vorhandenen Studienergebnissen ist von einer Unterschätzung des Phänomens auszugehen. Zudem variieren die Ergebnisse von Studien teilweise stark, weil sie unterschiedliche Methoden und Schwerpunkte haben. Auch die internationale Forschung führt hier nicht wesentlich weiter, denn nur wenige Studien beleuchten speziell das Thema Gewalt gegen ältere pflegebedürftige Menschen. Vielmehr wird allgemein Gewalt gegen Ältere thematisiert.

Vorkommen von Gewalt in der Pflege

Trotz der Herausforderungen bei der Erfassung, gibt es aus mehreren Studien Anhaltspunkte zum Vorkommen von Gewalt in verschiedenen Pflege-Settings in Deutschland. Betrachtet werden dabei unter anderem die stationäre Pflege, die ambulante Pflege und die informelle Pflege durch Angehörige.

In den Studien werden Aspekte wie die Häufigkeit von Gewaltvorkommnissen und von unterschiedlichen Gewaltformen sowie deren Auftreten in verschiedenen Konstellationen von Täterinnen oder Tätern und Opfern erforscht. Gewaltformen werden dabei unterschiedlich differenziert erfragt. Zum Beispiel wird sexualisierte Gewalt nicht immer gesondert erfasst.

Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen

Der Forschungsstand zur Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen in den verschiedenen Pflege-Bereichen ist unterschiedlich weit entwickelt. So ist Gewalt in der häuslichen Pflege deutlich weniger erforscht als im stationären Setting. Es gibt aber Hinweise darauf, dass das Risiko, Gewalt zu erfahren, bei stationär versorgten pflegebedürftigen Menschen höher ist als in der häuslichen Pflege.

Zur Häufigkeit von Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen in der stationären Pflege liefern einige relevante Studien Daten. Dabei wird insbesondere über zwei Gruppen von Täterinnen und Tätern berichtet: Gewaltanwendung durch andere pflegebedürftige Menschen oder durch Pflegende.

  • Einen Eindruck vom Umfang des Phänomens Aggressives Handeln unter Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Altenhilfeeinrichtungen vermitteln die Ergebnisse einer Studie der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) und des ZQP (2017/2018) mit über 1.300 Beschäftigten in 73 Pflege-Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Dabei berichteten 69 Prozent der Befragten von verbalen Aggressionen zwischen pflegebedürftigen Menschen in den letzten vier Wochen. 33 Prozent hatten körperliche Gewalt und 10 Prozent sexuell übergriffiges Verhalten beobachtet.
  • Die Studie Partizipative Entwicklung von Konzepten zur Prävention von Gewalt in der stationären Pflege (PEKo 1.0, Teilbefragung 2018), bei der etwa 1.500 Mitarbeitende von knapp 50 Pflegeeinrichtungen in Deutschland befragt wurden, ergab folgende Ergebnisse: 62 Prozent der befragten Beschäftigten sagen, in den letzten 3 Monaten mindestens einmal Bewohnerinnen oder Bewohner vernachlässigt zu haben. Berichtet wurde außerdem von psychischer Gewalt (49 Prozent), körperlicher Gewalt (21 Prozent), freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) (18 Prozent) und sexueller Gewalt (1 Prozent).
  • Im Rahmen einer Studie in Pflegeheimen in Hessen berichteten 2001 rund 72 Prozent der rund 360 befragten professionell Pflegenden, in den zurückliegenden 12 Monaten mindestens einmal ein Verhalten gezeigt zu haben, das als Misshandlung oder Vernachlässigung eingeschätzt wurde. Psychische Misshandlung und pflegerische Vernachlässigung wurden am häufigsten angegeben (je 54 Prozent). 30 Prozent nannten psychosoziale Vernachlässigung sowie 24 Prozent physische Misshandlung. 71 Prozent der Befragten gaben an, im selben Zeitraum entsprechendes Verhalten bei Kollegen und Kolleginnen beobachtet zu haben. Nach Einschätzung der Interviewten finden die meisten Gewaltvorkommnisse gegen pflegebedürftige Menschen in den Einrichtungen im Verborgenen statt und werden im Kollegium oder Vorgesetztenkreis oft nicht bekannt.
  • Bei einer bundesweiten Befragung (2021/2022) von circa 1.000 Leitungspersonen (Geschäftsführung, Pflegedienstleitung, Heimleitung) zu Gewalt in der stationären Pflege berichten 69 Prozent von mindestens einem ihnen bekannt gewordenen Vorfall in ihrer Einrichtung innerhalb der letzten 12 Monate. Konkret nennen 63 Prozent Gewalt zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern, jeweils 19 Prozent durch Beschäftigte beziehungsweise Angehörige/Gäste, 5 Prozent durch andere Dritte. Die Ergebnisse wurden in der ZQP-Analyse Gewalt gegen Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen der stationären Langzeitpflege (2023) veröffentlicht.
  • Von etwa 180 befragten Beschäftigten in stationären Einrichtungen (Hessen und Nordrhein-Westfalen) gaben 72 Prozent in der Studie zur Häufigkeit von Gewaltbeobachtungen, Gewaltwiderfahrnissen und Gewalthandlungen in der stationären Altenpflege aus Sicht der Beschäftigten (2018) an, in den letzten 12 Monaten mindestens einmal Gewalt ausgeübt zu haben. Rund die Hälfte berichtete von Vernachlässigung (48 Prozent) und psychischer Gewalt (45 Prozent), ungefähr ein Drittel von körperlicher Gewalt (34 Prozent) und FEM (30 Prozent).
  • Bei einer Befragung (2017) von 250 Pflegedienstleitungen und Qualitätsbeauftragte aus 250 verschiedenen stationären Pflegeeinrichtungen ergab sich folgendes Bild: Betrachtet auf die gesamte stationäre Pflege zeigt sich Gewalt professioneller Pflegender gegen pflegebedürftige Menschen nach Aussage der Befragten am häufigsten in verbalen Übergriffen (oft: 2 Prozent, gelegentlich: 23 Prozent, selten: 55 Prozent), Vernachlässigung (oft: 2 Prozent, gelegentlich: 17 Prozent, selten: 39 Prozent), körperlicher Gewalt (oft: 1 Prozent, gelegentlich: 7 Prozent, selten: 38 Prozent) und FEM gegen den Willen der Pflegebedürftigen (oft: 4 Prozent, gelegentlich: 5 Prozent, selten: 25 Prozent). Die Ergebnisse wurden in der ZQP-Analyse Gewalt in der stationären Langzeitpflege (2017) veröffentlicht.
  • Laut dem Qualitätsbericht des Medizinischen Diensts des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) (2020) wurden in Pflegeeinrichtungen in Deutschland bei 6 Prozent der rund 19.000 erfassten pflegebedürftigen Menschen, in der überwiegenden Mehrheit mit Einwilligung oder richterlicher Genehmigung, FEM angewendet. Im Vergleich zu Zahlen aus dem Jahr 2016 wurde dabei ein leichter Rückgang von FEM festgestellt.

Anhaltspunkte dazu, in welchem Umfang pflegebedürftige Menschen von gewaltsamem Verhalten durch Personal ambulanter Pflegedienste betroffen sind, bietet eine Studie bei ambulanten Diensten in Hannover. Bei dieser Befragung (2005) von über 400 professionell Pflegenden gaben 40 Prozent mindestens eine problematische Verhaltensweise in den letzten 12 Monaten zu. Konkret waren es 21 Prozent für psychische Misshandlung, 19 Prozent für pflegerische Vernachlässigung, 9 Prozent für körperliche Misshandlung sowie 10 beziehungsweise 4 Prozent für mechanische oder medikamentöse Freiheitseinschränkung.

Zur Häufigkeit gewaltsamen Verhaltens pflegender Angehöriger gegen pflegebedürftige Menschen in Deutschland liegen beispielsweise erste Daten aus der ZQP-Analyse Aggression und Gewalt in der informellen Pflege (2018) vor. Bei der deutschlandweiten Untersuchung wurden über 1.000 pflegende Angehörige unter anderem um Auskunft darüber gebeten, ob sie selbst der pflegebedürftigen Person gegenüber problematisch gehandelt hatten. 40 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten sechs Monaten mindestens einmal absichtlich ein Verhalten gezeigt zu haben, das in der Studie als Gewalt eingestuft wurde. Von den einzelnen Gewaltformen übten demnach 32 Prozent psychische Gewalt, 12 Prozent körperliche Gewalt an und 11 Prozent Vernachlässigung aus. 6 Prozent berichten eigenes Verhalten, das als FEM anzusehen ist.

Gewalt gegen Pflegende

Von Gewalt können auch professionell und informell Pflegende in allen Settings betroffen sein.

2017/2018 wurde vom ZQP und der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) eine Studie in Pflegeheimen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Darin wurden über 1.300 Mitarbeitende befragt, ob sie in den letzten 4 Wochen Gewalt seitens Bewohnerinnen und Bewohnern erfahren hatten. 69 Prozent bestätigten dies. Sie berichteten vor allem von verbalen Angriffen (63 Prozent). Aber auch körperliche Gewalt (38 Prozent) und sexuell übergriffiges Verhalten (14 Prozent) kamen vor. Die Studie gibt auch Hinweise darauf, dass Pflegende, die Menschen mit kognitiven Einschränkungen betreuen, ein erhöhtes Risiko haben, Gewalt zu erfahren.

89 Prozent der 2018 im Rahmen des Projekts PEKO 1.0 befragten knapp 1.500 Mitarbeitenden mehrerer Pflegeeinrichtungen in Deutschland berichteten, innerhalb der letzten 3 Monate Gewalt erfahren zu haben. Psychische Gewalt wurde mit über 80 Prozent am häufigsten genannt. Körperliche Gewalt erlebten circa 60 Prozent.

In einer bundesweiten Online-Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurden 2022 knapp 1.000 professionell Pflegende in ambulanten Diensten befragt. 80 Prozent von ihnen gaben an, einige Male im Jahr oder öfter von verbaler Gewalt betroffen gewesen zu sein. 52 Prozent berichteten von sexueller Belästigung, 39 Prozent von körperlicher Gewalt.

Das ZQP hat 2018 deutschlandweit rund 1.000 pflegende Angehörigen in einer Studie zu Aggression und Gewalt in der informellen Pflege (2018) befragt. Darin gaben 45 Prozent von ihnen an, psychische Gewalt durch die pflegebedürftige Person erfahren zu haben, zum Beispiel Anschreien oder Beleidigen. 11 Prozent haben körperliche Gewalt wie grobes Anfassen oder Schlagen erlebt. Angehörige von Menschen mit Demenz gaben häufiger an, von Gewalt beziehungsweise krankheitsbedingtem gewaltförmigem Verhalten durch die pflegebedürftige Person betroffen zu sein, als die anderen Befragten.

Zuletzt aktualisiert: 03.07.2023 Nächste vollständige Überarbeitung: 03.07.2028