Pflegesicherheit und Sicherheitskultur

Pflegesicherheit ist eine Grundvoraussetzung für gute Pflegequalität und ein wichtiges Präventionsthema. Prävention ist wiederum eine zentrale Aufgabe der professionellen Pflege. Laut der Nationalen Präventionskonferenz umfasst Prävention die Förderung von Gesundheit, Sicherheit und Teilhabe. Dazu gehört unter anderem, gesundheitliche Risiken bei Patientinnen und Patienten bzw. pflegebedürftigen Menschen im Rahmen der professionellen Pflege zu verringern und sie vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren.

Welche Bedeutung hat Pflegesicherheit?

Professionelle Pflege dient unter anderem der sicheren Versorgung und dem Gesundheitsschutz der Menschen, die sie in Anspruch nehmen. Dabei birgt sie selbst auch gesundheitliche Risiken für pflegebedürftige Menschen – insbesondere dann, wenn die Pflege nicht so ist, wie sie aus fachlicher Sicht sein sollte.

Pflegebezogene Risiken

Pflegebezogene Risiken liegen beispielsweise bei der Medikation, der Körperpflege, der Wundversorgung, der Mobilisation, beim Umgang mit Hilfsmitteln und der Informationsweitergabe. Auch Gewaltvorkommnisse stellen ein Gesundheitsrisiko dar. Negative Folgen können gesundheitliche Schäden bei Patientinnen und Patienten beziehungsweise pflegebedürftigen Menschen sowie Frustration und Schuldgefühle bei Pflegenden sein.

Was ist Pflegesicherheit?

Das Thema Sicherheit in der professionellen Pflege ist bisher in Deutschland wenig verbreitet und teilweise fehlen darauf zielende spezifische Begriffe. So ist etwa der fachlich etablierte Begriff „Patientensicherheit“ nicht vollständig passend. Dieser wird eher mit medizinischer Behandlung und Akutpflege und weniger mit professioneller Pflege, beispielweise der Langzeitpflege von Bewohnerinnen und Bewohnern von stationären Pflegeeinrichtungen oder Klientinnen und Klienten ambulanter Dienste, in Verbindung gebracht.

Das ZQP hat sich dem Thema Sicherheit in der professionellen Pflege angenommen und daher auch für den Begriff „Pflegesicherheit“ eine Definition vorgelegt. Diese bildet das Äquivalent zu der Definition von Patientensicherheit vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin und vom Aktionsbündnis Patientensicherheit.

 

Pflegesicherheit ist das Ergebnis aller Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, Patientinnen und Patienten sowie pflegebedürftige Menschen vor gesundheitlichen Schäden, die durch die professionelle Pflege entstehen können, zu schützen.

Man kann sagen: Je weniger kritische und unerwünschte Ereignisse sowie Fehler passieren, umso höher ist die Pflegesicherheit.

Was sind kritische Ereignisse und Fehler in der Pflege?

Allgemein spricht man von kritischen Ereignissen und Fehlern, wenn etwas ganz knapp noch gut gegangen oder wenn es nicht so gelaufen ist, wie es sein sollte. In der Fachsprache werden diese Begriffe spezifisch verwendet.

Kritische Ereignisse sind im Rahmen der Gesundheitsversorgung alle Vorkommnisse, die zu einem unerwünschten Ereignis führen können. Dazu gehören auch Fehler.

Fehler bedeutet, dass ein aus fachlicher Sicht richtiges bzw. notwendiges Handeln gar nicht, falsch oder ohne Plan erfolgt. Kritische Ereignisse und Fehler können – müssen aber nicht unbedingt – zu einem gesundheitlichen Schaden führen.

Unerwünschte Ereignisse sind unbeabsichtigte Vorkommnisse, die zu einem gesundheitlichen Schaden führen und nicht auf einer Erkrankung beruhen. Sie können vermeidbar oder unvermeidbar sein.

Never Events bezeichnet schwerwiegende, vermeidbare Ereignisse, die bei pflegebedürftigen Menschen zu erheblichen gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tod führen können.

Zur Vereinfachung kann der Begriff „negative Ereignisse in der Pflege“ verwendet werden.

Beispiele

Kritisches Ereignis

Herr M. (pflegebedürftige Person) weiß, dass er gegen Pflaster allergisch ist. Bei der Erstanamnese fragt Frau D. (Pflegefachperson) aber nicht nach bekannten Allergien.

 

Fehler

Vor dem Verbandswechsel schaut Frau L. (Pflegefachperson) nicht in die kürzlich durch ihre Kollegin aktualisierte Dokumentation und führt den Verbandswechsel wie gehabt durch.

Vermeidbares unerwünschtes Ereignis

Ein Pflaster verursacht eine allergische Hautreaktion bei Frau C. (pflegebedürftige Person). Die Pflasterallergie war auf einem nicht dafür vorgesehenen Dokumentationsbogen notiert und wurde deshalb nicht beachtet.

Never Event

Herr S. (Pflegefachperson) spritzt versehentlich die doppelte Menge Insulin bei Frau F. (pflegebedürftige Person).

Wodurch kommt es zu negativen Ereignissen?

Ist die Pflege nicht so, wie sie aus fachlicher Sicht sein sollte und die Pflegesicherheit dementsprechend gering, kann das unterschiedliche individuelle und strukturelle bzw. systembedingte Gründe haben. Zahlreiche Faktoren wirken hierbei zusammen, beispielsweise ungenügende Kommunikation, fehlendes Wissen, Unachtsamkeit und Zeitdruck der an der Versorgung Beteiligten, unklare Handlungs- und Entscheidungsprozesse sowie räumliche und technische Hindernisse.

Wie es zu negativen Ereignissen kommen kann, veranschaulicht das „Schweizer-Käse-Modell“. Die Käsescheiben stellen beispielhafte Einflussebenen dar, die Barrieren zum Schutz vor negativen Ereignissen bilden. Die Löcher stehen für Schwachpunkte, die als Risiken für negative Ereignisse gelten. Wenn mehrere Käsescheiben an derselben Stelle ein Loch haben, kommt es leicht zu einem negativen Ereignis. Je weniger Löcher oder Schwachpunkte es gibt, umso stärker ist der Schutz vor Ereignissen.

Welche Bedeutung hat die Sicherheitskultur in der Pflege?

Bedeutung für die Pflegesicherheit

Zur Verringerung von gesundheitlichen Risiken in der professionellen Gesundheitsversorgung trägt eine positive Sicherheitskultur in den Organisationen bei. Hierüber sind sich Expertinnen und Experten international einig. Sicherheitskultur wird als die Gesamtheit von Eigenschaften und Haltungen von Organisationen und Personen verstanden, die dafür sorgen, dass der Sicherheit mit vordringlicher Priorität hohe Aufmerksamkeit gewidmet wird. Sie ist die Art und Weise, wie sich die Mitarbeitenden einer Organisation speziell für sicherheitskritische Probleme engagieren. Im Fokus der Sicherheitskultur in der Pflege steht die Pflegesicherheit.

Aktuelle Entwicklung in Deutschland

Das Thema Sicherheitskultur in der Pflege ist in Deutschland kaum etabliert, wie Studienergebnisse des ZQP zeigen. Ein Grund könnte sein, dass der Fachdiskurs um Sicherheitskultur bisher von der medizinischen Sichtweise geprägt ist – und in Deutschland zudem erst etwa seit den 2000er Jahren wahrgenommen wird. Hinsichtlich aktueller Entwicklungen ist die Veröffentlichung des Nationalen Gesundheitsziels Patientensicherheit zu nennen, das im Rahmen der interdisziplinären Initiative gesundheitsziele.de erarbeitet wurde. Hierbei wird die hohe Bedeutung der Sicherheitskultur in der Patientenversorgung, einschließlich der Pflege, herausgestellt. Des Weiteren ist in diesem Kontext die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) der Bundesregierung relevant. Laut den KAP-Vereinbarungen von 2019 ist in allen ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen (und Krankenhäusern) eine „moderne und wertschätzende Fehler- und Lernkultur zu etablieren“. Unter anderem ist hierzu ein zentrales Online-Meldesystem für die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen einzurichten. Allerdings gibt es keine konkreten gesetzlichen Anforderungen zur Implementierung von Sicherheitskultur oder entsprechenden Instrumenten für Pflege-Settings. Entscheidend für die Realisierung wird daher in besonderem Maße ein Vorgehen sein, das Akzeptanz und Motivation in den Organisationen erreichen kann.

Wie kann eine positive Sicherheitskultur in der Pflege gestärkt werden?

Wichtige Voraussetzungen für eine positive Sicherheitskultur sind unter anderem das Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Sicherheitsrisiken sowie Kompetenzen zu deren Reduzierung. Aber auch das Wissen von pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen über gesundheitliche Risiken sowie ihre Motivation und Kompetenz, diese durch das eigene Verhalten zu minimieren, haben erheblichen Einfluss. Dementsprechend bedeutsam ist die Wissens- und Kompetenzvermittlung bei professionell und familial Pflegenden sowie pflegebedürftigen Menschen bzw. Patientinnen und Patienten. Je nach Zielgruppe kann dies durch Information und Aufklärung, praktische Schulung sowie in Aus- und Fortbildung erfolgen.

Ein Schlüsselfaktor der Sicherheitskultur ist die Kommunikation. Ein wertschätzender Umgang sowie eine offene, konstruktive Kommunikation – auch über negative Ereignisse in der Pflege – sind wesentliche Voraussetzungen für eine positive Sicherheitskultur in der Pflege. Besondere Verantwortung hierfür haben Leitungspersonen, unter anderem durch beispielgebendes Verhalten. Des Weiteren ist ein guter Informationsfluss zwischen allen an der Versorgung Beteiligten wie Pflegebedürftigen, Angehörigen, professionell Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern bedeutsam.

Zur Stärkung von Sicherheitskultur in Gesundheitseinrichtungen ist die Nutzung von digitalen Berichts- und Lernsystemen (Critical Incident Reporting Systems, CIRS) geeignet. Richtig angewendet, können sie für Risiken sensibilisieren und Lerneffekte fördern. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können hierbei negative Ereignisse anonym berichten. Daraus werden Maßnahmen abgeleitet werden, um solche Ereignisse in Zukunft zu vermeiden. Allerdings finden CIRS in der Pflege bisher in der Regel keine Anwendung. Vor diesem Hintergrund entwickelt das ZQP aktuell ein Pflege-CIRS für die Langzeitpflege.

Erfolgversprechend ist die Implementierung von Sicherheitskultur in der Pflege im Rahmen partizipativer Organisationsentwicklung. Leitungspersonen sollten den Weg durch Motivation, Initiative und Unterstützung ebnen. Für eine wirksame und nachhaltige Entwicklung von Sicherheitskultur ist die Beteiligung von Mitarbeitenden, zu versorgenden Menschen, Angehörigen und weiteren an der Organisation Mitwirkenden relevant. Konkrete Ziele und Maßnahmen sollten auf Basis einer systematischen Bestandsanalyse zur Sicherheitskultur festgelegt werden. Neben Schulungen der Mitarbeitenden zu dem Thema sind klare Handlungsrichtlinien wichtig.

 

Beispiele für konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheitskultur in Pflegeorganisationen

  • Schulungen/Fortbildungen zu sicherheitsrelevanten Themen für alle Mitarbeitenden ermöglichen, train-the-trainer oder Multiplikatorinnen/Multiplikatoren einsetzen
  • leicht zugängliche Informations-, Schulungs- und weitere Interventionsmaterialien einsetzen, um für das Thema Pflegesicherheit und Sicherheitskultur zu sensibilisieren und Wissen zu vermitteln
  • Kommunikationstraining und Maßnahmen zum Teambuilding einsetzen, z. B. mithilfe von TeamSTEPPS®
  • gemeinsames Verständnis von Sicherheitskultur in der Einrichtung definieren, das heißt, was Sicherheitskultur bedeutet, was dazu gehört, wie sie gestärkt werden soll
  • Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum kritischen Denken im Hinblick auf sicherheitsrelevante Einstellungen, Prozesse und Strukturen in der Organisation bei allen Mitarbeitenden fördern
  • vertrauensbasierte Atmosphäre schaffen, in der Sicherheitsbedenken ohne Angst vor negativen Konsequenzen angesprochen werden können
  • konstruktiv mit negativen Ereignissen umgehen, um daraus zu lernen, z. B. digitales Berichts- und Lernsystem (CIRS) nutzen
  • systematische Bestandsaufnahme der Sicherheitskultur und Risikoanalyse in der Organisation regelmäßig durchführen, Maßnahmen evaluieren und Zielsetzungen entsprechend anpassen
  • Methode der partizipativen Organisationsentwicklung etablieren, individuelles Verantwortungsbewusstsein aller Mitarbeitenden stärken

Übersicht

Weitere Beiträge des ZQP zum Thema Pflegesicherheit und Sicherheitskultur

Sensibilisierung, Aufklärung und Kompetenzentwicklung sowie eine offene, konstruktive Kommunikation in Pflegeeinrichtungen und Diensten sind also wichtige Voraussetzungen für Sicherheitskultur in der Pflege. Das ZQP will mit seiner Arbeit dazu beitragen, Pflegesicherheit und Sicherheitskultur in der Pflege zu stärken. Darum führt die Stiftung seit einigen Jahren verschiedene Projekte hierzu durch. So hat das ZQP gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Praxis, Wissenschaft und Politik zentrale Handlungsfelder der Pflegesicherheit identifiziert und in einem Ergebnispapier veröffentlicht. Jüngst wurde ein Studienbericht des ZQP über Instrumente zur Stärkung von Sicherheitskultur in der Pflege veröffentlicht. Zudem hat das ZQP Schulungsmaterial zur Sicherheitskultur für die ambulante Pflege entwickelt. Und aktuell setzt die Stiftung das bundesweite Praxisprojekt „PriO-a“ um, in dessen Rahmen Interventionsmaterialien für die Praxis und ein zentrales Berichts- und Lernsystem für die Pflege – das Pflege-CIRS – entwickelt werden. Lesen Sie zum Projekt PriO-a auch unser Interview mit ZQP-Geschäftsleitern Daniela Sulmann aus unserem ZQP diskurs 2023.

Angebote und Projekte

Hier finden Sie eine Übersicht aktueller Angebote und Projekte zum Themenbereich Pflegesicherheit und Sicherheitskultur.

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Zuletzt aktualisiert: 30.06.2023 Nächste vollständige Überarbeitung: 30.06.2028