Berlin, 24. Juni 2019. Für über 90 Prozent der älteren pflegebedürftigen Menschen in Deutschland gehört die Anwendung von Medikamenten zum Alltag. Viele von ihnen bekommen fünf oder mehr Wirkstoffe über einen längeren Zeitraum verordnet. Dies birgt nicht nur gesundheitliche Gefahren durch mögliche Wechselwirkungen. Auch der oft komplexe Medikationsprozess – von der Verordnung, dem Richten bis hin zur Einnahme der Medikamente – ist gerade für diese Patienten fehleranfällig. Dies nicht zuletzt, weil daran häufig auch mehrere unterschiedliche Akteure beteiligt sind: etwa Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker und pflegende Angehörige sowie Pflegebedürftige selbst. Entsprechend drohen Missverständnisse und Irrtümer. Deshalb wird die Medikation als besonderer Risikobereich für die Patientensicherheit eingeschätzt.
Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hat nun in einer deutschlandweiten Studie bei über 1.000 pflegenden Angehörigen untersucht, welche Erfahrungen diese mit dem Medikamenteneinsatz in der häuslichen Pflege machen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich 76 Prozent von ihnen regelmäßig am Medikationsprozess der Pflegebedürftigen beteiligen. Dabei helfen 63 Prozent der involvierten Befragten in solchen Bereichen, die sie für sich selbst als teilweise schwierig einschätzen. Knapp ein Viertel (23 Prozent) empfindet die Hilfe rund um Medikamente als eher oder sogar sehr belastend.
Dazu erklärt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP: „Die Analyse unterstreicht, dass für viele der etwa 3,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland Angehörige eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung eines richtigen Umgangs mit Medikamenten spielen.“ Oft ist hierbei allerdings keine professionelle pflegerische Unterstützung eingebunden. So gaben 64 Prozent der Studienteilnehmer an, dass keine Pflegekraft regelmäßig an der Versorgung beteiligt sei. „Es ist nicht trivial, Verantwortung für die richtige Medikamenteneinnahme zu tragen, zum Beispiel für Zeitpunkt und Dosis. Schwierig wird es insbesondere, wenn die pflegebedürftige Person vielleicht schlecht greifen oder schlucken kann, die Medikamente immer wieder vergisst oder nicht einnehmen möchte. Dadurch droht anhaltender Stress, der sich auch auf die Gesundheit der Angehörigen negativ auswirken kann“, so Suhr weiter. In der Studie werden von einem erheblichen Anteil der Befragten unter anderem folgende Unterstützungsaufgaben oft oder immer erbracht: 1. „Medikamente aus der Apotheke besorgen“ (53 Prozent); 2. „Rezept beim Arzt abholen“ (47 Prozent); 3. „Medikamente richten“ sowie „Über Medikamente aufklären“ (je 39 Prozent); 4. „Sich über Folgen von verordneten Medikamente informieren“ (38 Prozent); 5. „Medikamente bereitstellen“ sowie „An Medikamenteneinnahme erinnern“ (je 34 Prozent). Es kommt dabei regelmäßig vor, dass gleich mehrere solcher Aufgaben übernommen werden.
Neben der Frage nach der Wahrnehmung der eigenen Situation wurden die Angehörigen auch um Angaben gebeten, ob und welche sicherheitsrelevanten Probleme sie im Medikationsprozess wahrgenommen haben. Von mindestens einem solchen Problem im letzten halben Jahr berichten 77 Prozent der Befragten. Gut ein Drittel sagt, dies sei gelegentlich oder sogar oft passiert. Am häufigsten trat demnach auf: 1. Ein benötigtes „Medikament war aufgebraucht“ (51 Prozent); 2. „Ein Medikament wurde zum falschen Zeitpunkt angewendet“ (36 Prozent); 3. „Pflegebedürftige Person lehnte Medikament ab“ (33 Prozent); 4. „Zweifel, ob das Medikament angezeigt war“ (32 Prozent). Aber auch Abstimmungsdefizite mit anderen beteiligten Akteuren oder falsche Dosierungen werden als Probleme benannt. Ralf Suhr dazu: „In Forschung und Ausbildung, aber auch in den Angeboten des Gesundheitswesens müssen wir die Medikationssituation in der häuslichen Pflege als doppelte Präventionsgelegenheit verstehen. Hier bieten sich Chancen, die Gesundheit sowohl von pflegebedürftigen Menschen als auch von pflegenden Angehörigen besser zu schützen.“