Interview

Tabuthema „Sexuelle Gewalt“

Simon Eggert ist Geschäftsleiter im ZQP. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt u. a. auf den Themen „Gewaltprävention“ und „Informelle Versorgung“. Er leitete dabei auch das Projekt „SeGEL“ zur Prävention von sexueller bzw. sexualisierter Gewalt in der stationären Langzeitpflege.

Sexueller Missbrauch scheint in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit endlich stärker thematisiert zu werden. Ist das in der Pflege auch zu bemerken?

Es ist wohl mittlerweile insgesamt verbreiteter als im vorigen Jahrhundert, generell anzuerkennen, dass sexueller Missbrauch beziehungsweise sexualisierte Gewalt nicht nur ausnahmsweise vorkommen und dass die gesellschaftliche Relevanz dieses Problems nicht bezweifelt werden kann. Im Fachdiskurs wird Organisationen von der Kirche über Bildungsinstitutionen bis zu Sportvereinen eine zentrale Rolle für die Präventionsarbeit zugeschrieben. Einrichtungen des Gesundheitswesens, insbesondere Pflegeheime, sollten als Präventionsorte dabei nicht vergessen werden.

Warum wird das Thema in der Pflege vielleicht nicht so stark wahrgenommen?

Je nachdem, welche Gruppe man in den Blick nimmt, also zum Beispiel Pflegepersonal oder pflegebedürftige Menschen, und ob man nach der Innen- oder Außenperspektive fragt, gibt es verschiedene mögliche Barrieren. Bezieht man sich auf die sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt gegen ältere pflegebedürftige Menschen, mögen unter anderem vier Faktoren eine wichtige Rolle spielen.

Erstens: Sexualität im Alter ist generell ein tabuisiertes Thema. Viele können sich das nicht vorstellen, wollen darüber nichts wissen und nicht darüber sprechen. Darunter leiden dann sicherlich auch Präventionsbemühungen von entsprechenden Gewaltformen.

Zweitens: Was man nicht wahrhaben will, kann man schlecht sehen. Und wir wollen natürlich ungern wahrhaben, dass auch in Gesundheits- und Sozialberufen teilweise Personen arbeiten, die ältere hilfebedürftige Menschen sexuell attackieren oder demütigen.

Drittens: Die Opfer sind besonders ausgeliefert und können oft nicht mehr gut von ihren Erfahrungen berichten. Sie nehmen das dann mit ins Grab.

Viertens: Organisationen übernehmen zum Teil nicht die Präventionsverantwortung, die von ihnen bei diesem Thema gefragt wäre. Zum Beispiel weil es neue Herausforderungen und vielleicht größere Konflikte mit sich bringt, hier umfassend tätig zu werden. Was nicht heißt, dass es keine Träger, Einrichtungen und Pflegenden gibt, die sich schon lange und intensiv für das Thema engagieren.

„Sexualität im Alter ist generell ein tabuisiertes Thema. Viele können sich das nicht vorstellen, wollen darüber nichts wissen und nicht darüber sprechen.“

Was sollte das Projekt „SeGEL“ in diesem Zusammenhang leisten?

Zum einen wollten wir mit unserem Partner, der Deutschen Hochschule der Polizei, und gefördert vom BMFSFJ mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Phänomenbereich in der stationären Langzeitpflege in Deutschland sammeln und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Zum anderen wollten wir darauf aufbauend Arbeitsmaterialien für die Pflege entwickeln, die in der Aus- und Fortbildung und in den Einrichtungen kostenlos genutzt werden können. Denn alle Organisationen müssen sich mit ihren Beschäftigten gemeinsam auf den Weg machen und eine Präventionskultur samt der nötigen inhaltlichen Kompetenz in den Einrichtungen entwickeln. Noch zu häufig fühlen sich engagierte Pflegende und Leitungskräfte bei diesem Thema allein auf weiter Flur.

Wie kommt man an die Ergebnisse und Materialien?

Seit Anfang 2023 ist der Projektbericht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Materialien veröffentlicht. Alle Inhalte können über die Projektseite und Angebotsseite des ZQP unentgeltlich heruntergeladen und in der Praxis genutzt werden.

Mehr Informationen

Dieses Interview ist ein aktualisierter Auszug aus dem Fachmagazin ZQP diskurs 2022. Das Magazin kann kostenfrei heruntergeladen werden. Mehr rund um das Thema sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt finden Sie in unserem Themenbereich. Wenn Sie mehr zu unserer Arbeit und unserem Team erfahren möchten lesen Sie gerne im Über-Uns-Bereich weiter.