Interview

„... am Ende sicher aufgehoben“

Dr. Simon Eggert ist Geschäftsleiter des Forschungsbereichs im ZQP. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf den Themen informelle Versorgung, Lebensende sowie Gewaltprävention. Er hat die Angehörigen-Studie „Bedeutung von Lebensendlichkeit, Lebensmüdigkeit und Suizidprävention im Kontext von Pflegebedürftigkeit“ geleitet. Diese hat das ZQP gemeinsam mit dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) durchgeführt. In der NaSPro ist Simon Eggert Mitglied der AG „Alte Menschen“.

Herr Dr. Eggert, warum ist das Themenfeld „Lebensende, Sterben und Tod“ bei älteren pflegebedürftigen Menschen eine Studie wert?

Man kann sehr alt und krank sein und ist vielleicht erheblich auf die Hilfe anderer angewiesen – trotzdem möchte man bis zum Schluss so gut wie möglich leben. Vielleicht für Partner oder Urenkelin mit verbliebenen Ressourcen da sein, selbst wenn man nicht mehr damit rechnet, noch erheblich viel älter zu werden. Oft ist unklar, wie lange die Reise noch geht und wie sie in der letzten Phase gemeistert wird. Und am Ende ist es vielen Menschen wichtig, dass sie sicher aufgehoben, ohne belastende Symptome und nicht allein sterben. Das auch zu erreichen, dafür kann einiges getan werden. Profis aus Heilberufen spielen dabei eine wichtige Rolle, aber gerade die unterstützenden Angehörigen sind zentral. Sie stellen – wo vorhanden – eine erhebliche Ressource von älteren pflegebedürftigen Menschen dar. Gerade auch deswegen benötigen sie manchmal selbst Unterstützung, nicht zuletzt wenn es um Aspekte von Endlichkeit, Sterben und Tod im Zusammenhang mit der Pflegesituation geht. Unsere Studie wirft ein Schlaglicht auf solche Herausforderungen, die Angehörige berichten. Das soll auch ein Impuls für politische Akteure, für Forschung und Praxis sein, das Thema stärker in den Blick zu nehmen.

Wollen denn pflegebedürftige Menschen überhaupt noch länger leben? Sagen nicht auch viele: „Jetzt ist es mal gut …“

Was das eigene Leben wertvoll und als gut aushaltbar erscheinen lässt, das ist individuell verschieden und kann sich stark verändern. Man kann sich gut fühlen oder immerhin zufrieden sein, auch wenn andere vielleicht meinen, dass es ihnen selbst in einer vergleichbaren Lage schlecht ginge. Aber es stimmt, die Freude am Leben kann verloren gehen. Dazu tragen vielfältige Faktoren bei. Zum Beispiel starke gesundheitliche Probleme, Schmerzen, sich einsam fühlen, sehr abhängig von der Hilfe anderer sein, sich als Last für andere wahrnehmen, Dinge, die man gerne getan hat, nicht mehr tun können. Wenn wiederkehrend empfunden wird, dass das Leben zu Ende gehen soll, und dieser Zustand mit Leid verbunden ist, dann können wir das als Lebensmüdigkeit bezeichnen. Wenn Gedanken dazu kommen, die zum Beispiel darum kreisen, dass man dieses Leben selbst beenden möchte oder sich entsprechend verhält, dann sprechen Fachleute von Suizidalität.

„Wenn wiederkehrend empfunden wird, dass das Leben zu Ende gehen soll, und dieser Zustand mit Leid verbunden ist, dann können wir das als Lebensmüdigkeit bezeichnen.“

Wenn jemand sein Leben dann selbst beenden möchte, was ist daran problematisch? Sollte man nicht vielleicht sogar dabei helfen, wenn er oder sie das wünscht?

Selbstbestimmtheit auch in Bezug auf das eigene Sterben ist vielen Menschen wichtig. Diese gilt es aus meiner Sicht zu stärken. Wir wissen allerdings, dass Lebensmüdigkeit und Suizidalität nicht per se bedeuten, dass ein Mensch tatsächlich unbedingt sterben will, sondern dass er seine Lebenssituation als unerträglich empfindet. Es geht also um Krisen und um Leid, die zum Beispiel durch behandelbare psychische Erkrankungen wie Depression oder durch belastende Symptome wie Schmerzen begünstigt sein können. Daher sollte man versuchen, bei der Bewältigung von Ursachen und Symptomen des persönlichen Leids zu helfen, und nicht entscheidungsfähige Personen schützen. Dabei kann professionelle Unterstützung entscheidend helfen. Das ist ein zentraler Aspekt von Suizidprävention. Das bedeutet jedoch nicht, Suizidwünschen von Menschen respektlos zu begegnen. Es ist vielmehr unsere Verantwortung, den Menschen bei der Suche nach anderen Wegen umfassend zu unterstützen – egal wie alt oder krank ein Mensch ist.

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Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Fachmagazin ZQP diskurs 2023. Das Magazin kann kostenfrei heruntergeladen werden. Weitere Studien finden Sie in unserem Angebotsbereich. Wenn Sie mehr zu unserer Arbeit und unserem Team erfahren möchten lesen Sie gerne im Über-Uns-Bereich weiter.