26. Februar 2018

Ein Jahr nach letzter Pflegereform: Pflegende Angehörige sehen Informationsbedarf

Über die Leistungen der Pflegeversicherung für die von ihnen versorgten Pflegebedürftigen fühlen sich 33 Prozent der Befragten nicht sehr gut informiert – bei den Leistungen für sich selbst sind es sogar 44 Prozent. Auch hakt es bei der Inanspruchnahme: In 70 Prozent der Fälle wird der monatliche Entlastungsbetrag von 125 Euro offenbar nicht genutzt.

Berlin, 26. Februar 2018. Mit Einführung der Pflegestärkungsgesetze hatte der Gesetzgeber in der zurückliegenden Legislaturperiode umfangreiche Leistungsausweitungen in der Pflege beschlossen – auch um die deutschlandweit etwa 4,7 Millionen pflegenden Angehörigen zu entlasten. Aber wie werden die Reformen von diesen wahrgenommen? Um dies besser einschätzen zu können, hat das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) eine repräsentative Untersuchung unter über 900 informell Pflegenden im Alter von 40 bis 85 Jahren durchgeführt.

In der Analyse zeigt sich, dass zwar 90 Prozent der Befragten von den Pflegereformen wussten, aber Leistungsausweitungen anscheinend nur bedingt wahrnehmen und Angebote teilweise nicht genutzt werden. So etwa der neue monatliche Entlastungsbetrag von 125 Euro in der häuslichen Pflege: Laut 70 Prozent der Befragten wurde dieser von den Pflegebedürftigen zum Zeitpunkt der Befragung nicht in Anspruch genommen. Dabei steht er allen Pflegebedürftigen zu, die einen Pflegegrad haben und zu Hause versorgt werden.

Immerhin 25 Prozent der Befragten, die bereits vor 2017 gepflegt haben, geben an, seit den Pflegereformen mehr Angebote wie Alltagsbegleitungen nutzen zu können. 21 Prozent dieser Gruppe sagen, sie könnten sich nun mehr Auszeiten von der Pflege nehmen. Von diejenigen, die bereits seit 2014 und früher gepflegt haben und damit alle Leistungsausweitungen seit 2015 aus der Pflegesituation heraus erlebt haben können, nehmen 26 Prozent Verbesserungen in Bezug auf die Angebote wahr. Ebenfalls 26 Prozent dieser Befragten erleben positive Veränderungen bei der Möglichkeit Auszeiten von der Pflege nehmen zu können.

Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP: „Unsere Ergebnisse zeigen Licht und Schatten. Pflegende Angehörige berichten von Verbesserungen seit den Reformen. Zugleich steht zu befürchten, dass die Leistungsausweitungen noch nicht in erhofftem Maße in der häuslichen Pflege angekommen sind. Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass die nötigen Angebote wie zum Beispiel Tagespflegeeinrichtungen, nicht überall in ausreichendem Umfang vorhanden sind.“

Die begrenzte Wahrnehmung und Nutzung der veränderten Leistungen der Pflegeversicherung könnte auch aus mangelndem Wissen über die Möglichkeiten resultieren. So geben 44 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht wirklich gut über ihre Ansprüche als Pflegende informiert fühlen. 33 Prozent sehen dieses Informationsdefizit in Bezug auf die Ansprüche des Pflegebedürftigen aus der Pflegeversicherung.

Suhr dazu: „Professionelle Beratung ist ein zentraler Schlüssel zu guter Pflege. Denn: wer weiß, welche Leistungen man bekommen kann und sie dann gezielt nutzt, kann die Pflege bestmöglich organisieren. Pflegeberatung und Pflegeschulungen sind darum sehr wichtig. Pflegende Angehörige haben auf solche kostenlosen Angebote einen Anspruch.“

Die Nutzung dieser Angebote scheint laut der Studie ebenfalls ausbauwürdig: Pflegeberatung haben deutlich weniger als die Hälfte (42 Prozent) der Befragten genutzt. Einen kostenlosen Pflegekurs besucht haben sogar nur 8 Prozent der Pflegenden. „Das ist mit Sicherheit viel zu wenig, gerade angesichts der besonderen gesundheitlichen Belastungen, denen pflegende Angehörige oft ausgesetzt sind“, sagt Suhr.

Das ZQP bietet allen Interessierten kostenlosen Zugang zu einer Datenbank mit über 4.500 nicht kommerziellen Beratungsangeboten im Kontext Pflege deutschlandweit: www.zqp.de/beratung-pflege.

Methoden und Vorgehensweise der Untersuchung

Grundgesamtheit der vorliegenden Analyse sind deutschsprachige Personen in Deutschland im Alter von 40 bis 85 Jahren, die in ihrem privaten Umfeld eine Person mit Pflegegrad mindestens ein Mal pro Woche pflegen. Die Stichprobe von n = 922 Personen wurde gezogen aus einem Panel mit circa 80.000 deutschsprachigen Personen. Personen konnten nur dann teilnehmen, wenn sie zur Grundgesamtheit gehörten. Die Online-Befragung wurde in der Zeit vom 14. bis 27. Dezember 2017 durchgeführt. Die Stichprobe wurde nach Kombinationen von Alter, Geschlecht und formaler Bildung nachgewichtet und ist in diesem Sinne repräsentativ. Grundlage der Nachgewichtung war der deutsche Alterssurvey 2014, eine mehr als 20.000 Befragte umfassende Repräsentativbefragung von Menschen zwischen 40 und 85 Jahren, die in Privathaushalten in Deutschland leben. Die statistische Fehlertoleranz der Untersuchung in der Gesamtstichprobe liegt bei +/- drei Prozentpunkten.

Hintergrund

Rund 73 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt, in der Regel ausschließlich oder auch durch einen der etwa 4,7 Millionen pflegenden Angehörigen. Gerade die häusliche Pflege sollte durch die Pflegereformmaßnahmen der zurückliegenden Legislaturperiode entlastet werden.

Zu den Reformmaßnahmen 2015 bis 2017, die auf die häusliche Pflege zielen, gehören zum Beispiel:

  • Erweiterung der Anspruchsberechtigten gegenüber der Pflegeversicherung, das heißt Personen mit geringen körperlichen dafür aber geistigen Beeinträchtigungen
  • Erhöhung von Pflegegeld und Pflegesachleistungen
  • Einführung eines Entlastungsbetrags zur Unterstützung im Alltag von 125 Euro pro Monat für alle Pflegebedürftigen, die zu Hause versorgt werden
  • Ausweitung der Leistungen für Tages- und Nachtpflege sowie für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
  • Ausbau der Strukturen der Pflegeberatung, Verbesserung der Zugänglichkeit zu Beratung und Schulung sowie eigener Anspruch informell Pflegender auf Pflegeberatung
  • Verbesserung der Zugänglichkeit zu Pflegehilfsmitteln und deren Kostenerstattung
  • Höhere Zuschüsse für Umbauten oder die Anpassung der Wohnung an die Pflegesituation
  • Verbesserung der sozialen Absicherung für einen Teil der Pflegepersonen
  • Einführung eines Pflegeunterstützungsgelds für die bis zu zehntägige Pflegeorganisation bei einem nahen Angehörigen
  • Neuer Rechtsanspruch auf teilweise Freistellung von bis zu 24 Monaten bei einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 15 Stunden für pflegende Arbeitnehmer in Unternehmen ab regelmäßig 26 Beschäftigten, zugleich Anspruch auf ein zinsloses Darlehen.